Wanderer between worlds -Dr. Elisabeth Hartung (Eng, De)

Hyon-Soo Kim
Cultural Metamorphosis
, 2003

All of Hyon-Soo Kim’s work can be compared to a metamorphosis. Each of the projects is
imbedded in a continuously developing creative process, in which individual aspects
intertwine almost imperceptibly. Each work expresses a unique statement. At the same time,
however, the subtle and many-faceted relationships of the works to each other are
fascinating. It is impressive how new moments are gradually interwoven into already existing
concept, and how the statement they make is developed with incredible consistency.

The artistic confrontation of the native Korean stems from an interface of western and
eastern cultures and is nurtured by an especially her but personal view of the processes of
nature. One day while playing in nature as a child with small and large creatures, objects, it
dawned on her hard that they all either suddenly vanish or slowly disappear. This caused
the little girl to have almost a traumatic compassion. That moment had an intense imprint on
her mind, after which in her every drawings and paintings one can see vanishing, broken or
fragmented forms. Evident is also in her large sculptures and installations, as a continuous
development from her drawings.

Hyon-Soo Kim is a wanderer between worlds, and the question of the relationship between
the cultural points of view has remained a central one for her. Dealing with this question,
through the development of themes concerning natural processes and cultural phenomena,
the Korean artist has achieved a focus for her work. Nevertheless, her poetic installations
and area-related works allow for great freedom of association. Playful light heartedness,
ironic suggestion and sensual implementation are essential trademarks of her projects.

In the meantime, Hyon-Soo Kim, has produced various groups of works, in which quite different materials have been used. These include space-related installations, sculptures and objects, as well as delicate drawings and painting. Recently, photo and video series, performance have been added to her list of accomplishments. The versatility in her choice of media corresponds with the openness of thought and artistic expression which characterise Hyon-Soo Kim’s work. With a skilled touch, she manages to draw inherent hidden qualities out of materials, or in the seemingly trivial, to discover moments which point to fundamentally existential questions.

Hyon-Soo Kim – kulturelle Metamorphosen                                                   

Dr. Elisabeth Hartung. 2003

Die gesamte Arbeit von Hyon-Soo Kim ist gleichsam eine Metamorphose. Die einzelnen Werke sind eingebettet in einen beständig fortschreitenden Arbeitsprozess, in dem einzelne Aspekte fast unmerklich ineinander übergehen. Jede Arbeit formuliert eine individuelle Aussage, doch faszinierend sind gleichsam die vielschichtigen Bezüge untereinander. Beeindruckend ist, wie sich langsam immer neue Momente mit bereits formulierten verbinden und sich die Erzählung ungeheuer konsequent weiterstrickt.

Die künstlerische Auseinandersetzung der gebürtigen Koreanerin setzt an der Schnittstelle zwischen westlicher und östlicher Kultur an und wird genährt aus der spezifisch asiatischen Betrachtung über die Vorgänge in der Natur. In der Kindheit hatte sie durch die Natur erfahren, besonders für die kleine Lebewesen und Gegenstände die plötzlich eines Tages verschwunden oder mit der Zeit langsam vergeht waren, als kleines Mädchen ein tiefes Mitleid zu haben.  Diese Erinnerung von Kindheit taucht immer wieder in Ihren frühren Zeichnungen und Bildern als Form oder unerkennbare Fragmenten auf.  Durch die Zeichnungen sind später große Skulpturen und Installationen entstanden.

Hyon-Soo Kim ist eine Wanderin zwischen den Welten und die Frage der Relativität der kulturellen Sichtweise ist eine ihrer zentralen geblieben. Diese bringt die koreanische Künstlerin durch die Thematisierung von natürlichen Prozessen und kulturellen Phänomenen auf den Punkt und lässt doch in ihren poetischen Installationen und ortsbezogenen Arbeiten viele assoziative Freiräume. Spielerische Leichtigkeit, ironischer Hintersinn und sinnliche Inszenierungen sind dabei wesentliche Kennzeichen ihrer Projekte.

Hyon-Soo Kim hat mittlerweile verschiedene Werkgruppen erarbeitet, in denen sie unterschiedliche Materialien einsetzt. Raumgreifende Installationen, Skulpturen und Objekte stehen neben zarten Zeichnungen und Bildern. In neuerer Zeit sind auch photographische Serien, Video und Performance dazugekommen. Die Offenheit in der Wahl der Medien korrespondiert mit der Freiheit im Denken und in der künstlerischen Konzeption, von der Hyon Soo Kims Vorgehen gekennzeichnet ist. Mit feinem Gespür entlockt sie Materialien inhaltliche Qualitäten oder entdeckt im scheinbar nebensächlichen Momente, die zu zentralen existentiellen Fragen führen.

Im Folgenden ist die stetige Weiterentwicklung des Werks von Hyon Soo Kim anhand von den wichtigsten Werkgruppen und Installationen beschrieben. In einer chronologischen Betrachtung wird die kontinuierliche Metamorphose besonders anschaulich, während in einer rein nach Materialien betrachteten Vorgehensweise die inhaltlichen Aspekte besonders deutlich zur Geltung kommen. Die Vorgehensweise hier hat eine chronologische Struktur, doch setzt sie sich auch an besonderen Stellen explizit mit inhaltlichen Schwerpunkten, auch ungeachtet der zeitlichen Struktur auseinander.

Wirbelbilder
Den Anfang ihrer künstlerischen Tätigkeit im Westen repräsentieren die sogenannten
Wirbelbilder aus den Jahren 1993-94. In ihnen nimmt Hyon-Soo Kim das Kreismotiv der
Blume auf und setzt es in eine Drehbewegung, die wirbelnd in die Tiefe führt und gleichsam
dem Betrachter reliefartig entgegenkommt. Die Wirbelbilder sind Objektbilder aus farblich
getränkten Stoffbahnen, mit denen sich die Künstlerin von der kalkulierten Malerei
verabschiedete. Spielerisch verbindet sie in diesen frühen Arbeiten die trennende Kluft
zwischen den verschiedenen kulturellen Sehweisen, ermöglicht durch die Loslösung vom
klassischen Bild und einer formale Freiheit, die ihr die westliche moderne Kunst ermöglicht
hat. Gleichzeitig wurde der experimentelle Umgang mit dem Material Stoff genährt aus der
intensiven Beschäftigung mit den verbindenden Übereinstimmungen frauenspezifischer
Handwerkstechniken in östlichen und westlichen Traditionen.
Stillstand
In einer weiteren Werkgruppe löst sich die Leinwand, der Stoff vom Keilrahmen und
verselbständigt sich. Mit Stoffbahnen umwickelt Hyon-Soo Kim nun Gegenstände
koreanischer und deutscher Herkunft bis diese ihre individuelle Gestalt und und scheinbar
eindeutige kulturelle Zugehörigkeit verlieren. Durch dieses Vorgehen entlockte sie der Welt
des Banalen und Alltäglichen völlig neue Sichtweisen. Gleichzeitig kommt durch diese
Tätigkeit aber auch eine Sehnsucht, künstlerisch transformiert ins Spiel. Bald schon umhüllte
sie riesige Objekte, die Gefäße im weitesten Sinne repräsentieren, wie einen 190 cm großen
Hund, einen 170 cm großen Phallus, ein eineinhalb Meter großes Buch, eine menschgroße
Vase 175, eine über zwei Meter hohe Madonna.
Die Umwicklung mit Stoff nivelliert eben nicht nur individuelle Unterschiede, sondern es
ermöglicht auch in einem positiven Sinne die Annäherung etwa unterschiedlicher Kulturen, es
weist auf eine andere Welt, in der es keine Diskriminierung aufgrund äußerlicher
Unterschiede gibt. In dieser Welt weiß man, daß verschiedene individuelle Formen nur Träger
eines gemeinsamen Inhalts sind.


Gefäß I
Der Stoff als Material und das Verhüllen von Gegenständen bleiben Charakteristika des
Werkes von Hyon-Soo Kim. Doch zunächst löst die Künstlerin in einer weiteren Werkgruppe
die Dinge aus ihrer Umwicklung. Das Gefäß wird nun das zentrale Thema ihrer Arbeit in
äußerst vielschichtiger Weise: als Behältnis für Nahrung steht es für Lebensenergie.
Konfrontiert mit Röntgenbildern weist es in Form zerbrechlicher fragiler Glasgefäße
gleichzeitig auf die Vergänglichkeit menschlicher Existenz. Gefäßformen erinnern aber auch
an den ganz normalen Alltag, und in einem übertragenen Sinn steht die Idee des Gefäßes für
etwas, was mit Wahrnehmungen, Emotionen, mit Leben gefüllt werden können. Für Hyon-
Soo Kim ist das Gefäß Metapher für Leben und Vergänglichkeit, für Füllen und Leeren.
Am Anfang dieser Werkgruppe standen Experimente mit Lichtobjekten und Installationen,
die die bisherigen Bildmittel erst einmal ablösten. Für eine Ausstellung in der
Künstlerwerkstatt Lothringerstraße 13 in München im Jahr 1998 wählte sie den etwas
schäbigen Hinterhof mit geparkten Autos und Müllcontainern als Ausgangspunkt und
Bestandteil ihrer Installation. An einer Begrenzungsmauer brachte sie Leuchtkästen an, in
denen sich Gefäßformen mit Röntgenbildern menschlicher Körperteile durchdringen. Der
Besucher des Ausstellungsraumes musste zwischen den Autos, die ihrerseits Gefäße für
Menschen sind und den Leuchtkästen durchgehen. Eine besonders eindringliche und
vielsprechende Situation ergab sich stets bei einbrechender Dunkelheit, wenn das Licht zum
Kellerabgang des gegenüberliegenden Wohnhauses eine Madonnen-Skulptur mit Kind
beleuchtete und dadurch Auffassungen von der Frau als Gefäß wie Religion als
entscheidendes Kennzeichen für die Individualität verschiedener Kulturräume ins Spiel
brachte.
Im Zusammenspiel dieser Elemente verwandelte sich der triviale Raum zu einem „Gefäß für
Kunst“. Doch die bunten transparenten Leuchtkästen vereinen in sich selbst verschiedene
Welten: die des physischen Daseins durch die Röntgenbilder und die der Kunst und des
schönen Scheins durch die Strukturen und Formationen, die sich durch die Überlappung von
Gefäßumrissen und den medizinischen Abbildern des menschlichen Körpers ergeben.
Reisschmetterling
1999 realisierte die Künstlerin die räumlich poetische Installation Schmetterling. Eine Serie
von Leuchtkästen und Röntgenbildern von Köpfen, über die schablonenartig Schmetterlinge
montiert ist. Den im Kopf gefangenen Gedanken verleiht die Künstlerin so bildhaft Flügel. An
der gegenüberliegenden dunklen Wand erhebt sich, metaphorisch gesprochen, der weiße
Schmetterling aus dem Gefäß in den realen Raum hinein. Er ist mit Naturreis überzogen und
steht damit als leibliche und geistige Nahrung für Leben, Wachsen, Denken und so für den immerwährenden Kreislauf.


Kokon
Kurze Zeit darauf verpuppte sich der Schmetterling wieder, um in anderer Gestalt neue Bilder
zu evozieren. In einem Zimmer des Münchner Hotel „Mariandl“ realisierte Hyon-Soo Kim
einen leuchtenden Kokon in Menschengröße. Im dunklen Raum wurde der im Hotelbett
liegender Kokon mit Schwarzlicht bestrahlt zum geheimnisvollen pinkfarbenen Leuchten
gebracht. Während wärmendes Rotlicht etwa Küken in den ersten Lebenstagen Energie
spendet, wirkte das bläuliche Licht in der Dunkelheit in eigentümlicher Weise so, als würde
es das organische Gebilde konservieren oder mumifizieren. Neben dem Bett stand ein
Kassettenrekorder, aus dem Texte aus 5 verschiedenen spracheigen Opernarien zu hören
waren, die der Bariton Emmanuel Byok Song Woo mehrsprachig aufgenommen hat. Eine
leise, melancholische Poesie der rezitierten Arien füllte den Raum.
Von ganz besonderer Bedeutung ist gerade bei dieser Installation der Ort. Ein Hotel, an dem
sich der Fremde nur kurz und vorübergehend aufhält. Als Gast ist er an diesem Ort heimatlos.
Wie die Künstler in ihrem Konzept beschrieben haben, entspricht der Aufenthalt in einem
Hotel einer ihrer Vorstellung vom Dasein im Jenseits: Der Gast befindet sich in einem
Stadium des „Dazwischen“. Er harrt in Einsamkeit und Fremde aus und steht doch in
Erwartung eines Nächsten, Neuen.
„Die poetische Installation Kokon thematisiert diesen Zustand, in dem alles darauf wartet, der
Veränderung und Wandlung unterworfen zu werden – ein Prozess, der durch Poesie, Objekte
und Emotionen ausgelöst wird. Die Idee der im Begriff der Verwandlung stehenden Kokons
soll allgegenwärtig werden: das Hotel als Kokon, das Reisegepäck als Kokon, der Körper und
der Geist als Kokon, die Kunst als Ideen-Kokon.“


Gefäß II
Im Jahr 2000 realisierte Hyon-Soo Kim die mehrteilige Installation Gefäß, mit der wieder
konkrete alltägliche Behältnisse eine Hauptrolle spielen. Die Arbeit wurde installiert im
Kreuzgang des Domes St. Marien und in der Lorenzkirche in Erfurt.
Die poetischen Installationen und ortsbezogenen Arbeiten von Hyon-Soo Kim sind
gekennzeichnet durch viele assoziative Freiräume. Solche Momente spielen auch in der
Arbeit Gefäß zentrale Rollen. Im Innenhof des Kreuzganges des gotisches Domes in Erfurt
platzierte sie eine Gruppe überlebensgroßer Gebilde, die an Kelche, Vasen oder an ganz
alltägliche Trinkgefäße erinnern. An diesem stillen Ort inmitten der Stadtlandschaft entfaltet
sich ein kleiner natürlicher Kosmos: Insekten, Vögel und Schmetterlinge fliegen zwischen
den alten Bäumen umher. Bänke im schattigen Gras laden zum Verweilen ein.
Der Ort hatte früher sakrale Funktionen inne, heute ist er ein öffentlicher, seiner Exklusivität
entbundener Platz. Mit dieser Geschichte wurde er zum idealen Ambiente für die riesigen
Objekte von Hyon-Soo Kim. Denn sie selbst thematisieren Momente des Übergangs zwischen
unterschiedlichen Stadien in einer höchst vielschichtigen Art und Weise.
Hier in der Nähe eines Gotteshauses verweisen die Gefäße auf ihre Verwendung im christlichzeremoniellen
Kontext. Doch Hyon-Soo Kims Gefäße haben keine Funktion mehr, sie sind in
ihrer Größe schon beinahe ironische Denkmäler von Gefäßen. Zudem stehen sie mit der
Öffnung nach unten, oder metaphorisch gesprochen, auf dem Kopf, als wären sie ihrem
eigentlichen Sinnzusammenhang beraubt. Umsomehr scheinen sie darauf zu warten, mit
neuen, anderen Inhalten wieder gefüllt zu werden und fordern zu einer Umorientierung
festgefahrener Weltansichten auf.
Die scheinbar so vertrauten, ins Überdimensionale gesteigerten Formen wickelte die
Künstlerin mit weißen Stoffbahnen ein, so daß sie wie mumifizierte Alltagsgegenstände
wirken. Durch diesen Akt des Umwickelns werden individuelle Unterschiede und Funktionen
eingeebnet und gleichsam wird an Vergänglichkeit erinnert. Aber es geht nicht um die
pessimistische westliche Sicht. Vergänglichkeit wird hier vielmehr als natürlicher Prozess
assoziiert, der nicht etwa nur Tod und Endgültigkeit bedeutet. Jedes Leben bedingt
Veränderung. Neues entsteht stets nur aus einem Prozess der Transformation, der Dinge
vergänglich macht. Dafür steht auch das Weiß, das in Korea zwar die Farbe der Trauer und
Vergänglichkeit ist, aber zugleich eine Reinheit symbolisiert, aus der wieder Neues entstehen
kann.
Hyon-Soo Kim bringt existentielle Fragen ins Spiel, doch ihren Arbeiten haftet nicht der
schwere Beigeschmack an, den gerade der sakrale Ort evozieren mag. Vielmehr weist sie auf
die Prozessheftigkeit jeglicher Existenz hin, die niemals durch eine einzige statische Form
repräsentiert werden kann. Kunst kann nur Symbole schaffen, Andeutungen formulieren, die
dann der Betrachter durch Rückbezug auf seine eigenen Erfahrungen weiterdenkt.
Doch eine Spur hat die Künstlerin doch noch gelegt: Ein sehr langes loses Band führt von
einem Gefäß aus dem ehemals sakralen Bereich hinein ins Alltagsleben. Nicht fixiert wie es
ist, kann es jedoch mehrere Wege anzeigen, je nachdem, wer die Fährte legt. So wird das
Band gleichsam zu einer lebendigen beweglichen Spur zwischen den Welten, zwischen der
sakralen und der profanen Welt ebenso wie zwischen der westlichen und der östlichen.


Ausstellung, “Vergebliche Form“
Schnüre und Verspannungen im Raum sind konstituierende Elemente in einer weiteren
Installation, die Hyon-Soo Kim im November 2000 im Laboratorium E.V. des Aktionsforums
Praterinsel in München realisierte. Die sinnlich-poetische Installation Vergebliche Form ist
wiederum eine ungeheuer konsequente Weiterentwicklung ihrer künstlerischen
Auseinandersetzung mit natürlichen Prozessen und kulturellen Phänomenen.
„Wohin gehen wir?“ Oder „was ist Realität und was ist Traum?“ Solche Fragen mögen die
aktuellen Ausstellung von Hyon Soo Kim im Laboratorium E.V. evozieren. Der Titel
„Vergebliche Form“ weist dabei auf die Prozessheftigkeit jeglicher Existenz hin, die niemals
durch eine einzige statische Form repräsentiert werden kann. Kunst kann nur Symbole
schaffen, Andeutungen formulieren, die dann der Betrachter durch Rückbezug auf seine
eigenen Erfahrungen weiterdenkt.
Die Künstlerin inszenierte zwei Installationen und spannte den Betrachter regelrecht mit ein.
Es wurden keine Bilder an der Wand präsentiert, sondern aus dem architektonischen Raum
heraus sind gleichsam künstlerisch-poetische Raumbilder entwickelt worden.
Bereits im ersten Raum wurde der Betrachter Teil einer Installation und arbeitete an ihr mit.
Von der Decke herab hingen an dünnen Seilen aus schwarzem Stoff genähte Objekte, die an
Körperteile erinnern. Ging er zwischen diesen hindurch, fielen langsam einzelne Reiskörner,
mit denen die Stoffformen gefüllt waren, auf einen schwarzen, auf den Boden gemalten Kreis.
Hier nun befand sich der Betrachter gleichsam inmitten einer Übergangssituation, in einem
schwarzen Loch. Repräsentiert es den Anfang oder das Ende, zieht es mit Sogkraft nach unten
oder entläßt es die Körperteile frei nach oben?
Der zweite Raum war gänzlich diagonal mit Fäden verspannt und nicht betretbar. Auf diesen
Fäden aufgereiht schweben kleine Wachsfiguren im Raum: Blaue Madonnen, rote Mädchen
mit Schmetterlingen und Frauen, stachelig wie Kakteen, jeweils 50 mal. Auch hier wieder
Verweise auf die Existenz und ihre Prozessheftigkeit. Allein das Material Wachs implizierte
durch seine Eigenschaften die verschiedenen Stadien und die Vergeblichkeit einer einzigen
Form: weich und biegbar, doch zugleich spröde und hart. Die Figuren stehen für
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Oder: Das Mädchen mit dem Schmetterling steht für
die Sehnsucht nach der Kindheit als unbeschwerte Zeit, die Madonna repräsentiert eine ideale,
heilige Frau, die wir aber nur als Idee, Traum oder eben künstlerisch artikuliert kennen. Der
Kaktus in Frauenform mag für eine harte Gegenwart stehen, oder gar für die Realität selbst.
Doch ist nicht alles im Fluss, in Transformation begriffen? Und überhaupt: was ist denn
Realität, was ist Traum? Ist nicht die Realität von unseren Träumen und Illusionen
manipuliert? Ist die Vergangenheit nicht ebenso Realität wie die Gegenwart, und die Zukunft?
Letztendlich steht also unser eigener Standpunkt in der Welt zur Debatte, oder: „Wer bin
ich?“


M . A . R . I . A / allen Müttern der Welt
Neuere Arbeiten wie das vorliegende Konzept für eine Installation handeln unter anderem
vom kulturell determinierten Bild der Mutter und stellen damit wieder das Verhältnis
westlicher und östlicher bzw. nicht-europäischer Kulturen in ihr Zentrum. Gegen die
westlichen Globalisierungs-Tendenzen setzt Hyon-Soo Kim eine subtile Rauminstallation, die
Anleihen bei der sakralen Inszenierungskunst macht, aber weit über christlich-religiöse
Inhalte hinausreicht.
Im Ausstellungsraum wird sich eine feierliche Atmosphäre ausbreiten, die den Betrachter zum
Innehalten einlädt. Zwischen bunten lebensgroßen Plastiken flackern große Kerzen, die dem
sakralen Kontext entlehnt sind. Dezent erfüllt Musik den Raum. Stabat mater und rituelle
Gesänge aus dem buddhistischen Korea mischen sich. Selbstverständlich wie die Religion für
Hyon Soo Kim zum Alltag gehört, breitet sich eine sehr meditative Stimmung aus.
Die Installation M . A . R . I . A besteht aus 14 Figuren, die menschliches Maß besitzen. Die
Figuren und Kinder sind mit leuchtend bunten Stoffen entwickelt, aus denen in Korea die
Festtagskleidung der Frauen genäht wird. Auf den ersten Blick scheinen es durch das
Umwickeln mit den gleichen Stoffen entindividualisierte Figuren zu sein, doch die Konturen
enthüllen gleichsam wieder Individualität. Sie lassen schemenhaft weibliche Figuren
erkennen, die nah am Körper Kinder tragen. Dem aufmerksamen Blick eröffnen sich
Ausbuchtungen an verschiedenen Stellen, dort wo in verschiedenen Kulturen in Asien oder in
Europa traditioneller Weise die Frauen ihre Kleinkinder tragen. In Korea etwa auf dem
Rücken, in Deutschland auf dem Arm, in afrikanischen auf der Hüfte. Gleichzeitig beinhaltet
der Prozess des Umwickelns ein Moment des Festhaltens, denkt man etwa an das
Mumifizieren. Dieses aber ermöglicht es , aus der alten materiellen Hülle hinauszugehen und
Neues entstehen zu lassen.
Der Titel M . A . R . I . A weckt die Assoziation an die Mutter des christlichen Gottessohnes,
doch es gibt hier nicht das Bildnis einer einzigen Frau, sondern die 14 weiblichen Figuren
behaupten in ihrer ganzen Schemenhaftigkeit ein Eigenleben. 14 Frauen, die dezent ironisch
die 14 christlichen Nothelfer assoziieren lassen. Die Heiligen sind nicht Männer, die
phantastische Wunderdinge vollbringen, es geht gar nicht darum, jemanden zu heiligen, es
geht einfach um Frauen, die mit harter Arbeit auf der ganzen Welt den Alltag der Familien
meistern.
Das Bild der Mutter ist in sämtlichen Kulturen zentral. Die Mutter spendet nicht nur das
Leben, sondern prägt es und formt so die jeweilige Kultur mit. Ihre Liebe kennt keine
Grenzen, weder räumlich noch zeitlich, denn in der Erinnerung bleibt sie stets lebendig. Und
so vielfältig und bunt wie das Leben und die Kulturen sind, kann es niemals nur ein Bild einer
Mutter geben. Die Mutter repräsentiert nicht nur die Vergangenheit und Tradition, sondern sie
ist gleichsam gelebte Gegenwart und gibt Hoffnung für die Zukunft. Davon mögen auch die
leuchtenden Farben künden, die kindliche Träume evozieren oder poetisch den Regenbogen
und all seiner hoffnungsvollen Implikationen.
Die künstlerische Arbeit von Hyon-Soo Kim ist bei aller existentieller und durchaus
gewichtiger inhaltlicher Tragweite stets von einer spielerischen Leichtigkeit geprägt, die
Pathos umgeht und sehr direkt und sinnlich ihre Inhalte vermittelt.
Gerade die Arbeit M . A . R . I . A könnte ein künstlerisches Zeichen für die Möglichkeit
eines Dialoges zwischen den Kulturen sein. Denn nur wenn jede Kultur in ihrer Individualität
belassen wird und wenn ihr eben nicht der allein westlich geprägte Globalismus jegliche
Eigenheit nimmt, ist gleichberechtigter Austausch möglich. Gleich sind nur die, die sich in
ihrer Individualität akzeptieren. Wenn alle sich nur einem einzigen Einfluß aussetzen und nur
einem Bild verpflichtet sind, kann es keinen spannenden Dialog mehr geben und damit auch
keine Vielgestaltigkeit mehr.


Die Zeichnungen
Seit mehreren Jahren entwickelt Hyon-Soo Kim mit lockerem Strich parallel zu Ihrer
Installation Arbeit Tausender von Zeichnungen. Sie knüpft damit wieder an das Motiv der
Blume an, das 1994 mit den Wirbelbildern gleichsam Ausgangspunkt ihrer Arbeit war. Wie
sich damals Stoff zu einer Blütenform bildete, so wachsen in den Zeichnungen immer wieder
Blüten, meistens magentarote Lotusblumen, aus den gestischen Linienkürzeln, die Hyon-Soo
Kim auf das Papier mit Pinsel und Feder streut.
Die Zeichnungen ermöglichen der Künstlerin eine Verankerungen der Arbeit in den Alltag,
sie gehören zu den zentralen Ritualen ihres Lebens. In Gewisserweise stehen sie in Kontrast
zu den kalkulierten Installationen, denn hier ist der Ausdruck unmittelbar und weitgehend
unkontrolliert. Die Zeichnungen repräsentieren damit künstlerische Freiheit, was noch durch
den unorthodoxen Einsatz der Mittel unterstrichen wird. Tusche und Farbe kommen in ihnen
zum Einsatz, teilweise werden Fundstücke in das Blatt montiert. Diese graphischen Arbeiten
sind integraler Bestandteil der Arbeiten. Es ist keine Vorstudien im klassischen Sinne. In
ihnen wird in ihnen häufig skizzenhaft vorformuliert, was später konkrete Form wird.
In den Zeichnungen scheint sich alles im Zustand des Werdens zu befinden. Gestische Kürzel,
manchmal erinnernd an umgekehrte weibliche Figuren, schwirrende Insekten, die scheinbar
ziellos in der Luft verharren. Immer scheint es, als wären Momentaufnahmen dargestellt, die
nur für einen Bruchteil existent sind, um sich dann wieder neu zu formieren, manchmal auf
dem Weg zur festen Form, doch immer in einem Zwischenbereich, der Offenheit lässt.

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